16.10.2021

Sitzung 2 - Thema: Bildung und Kultur

Wenn Hausaufgaben im Netzzeitalter per Post zugestellt werden, läuft Schule nicht optimal. Szenen wie diese hat Sachsen zu Beginn der Corona-Pandemie erlebt. Dass Bildung unter Krisenbedingungen künftig anders funktionieren sollte, hat der Bürgerrat am 16. Oktober diskutiert.

Persönlicher Austausch, Eindrücke und Erfahrungen

Welche Herausforderungen und welchen Handlungsbedarf gibt es im Themenfeld Bildung? 

Als Eltern, Großeltern oder Engagierte im Bildungsbereich haben die Teilnehmenden des Bürgerrats ähnliche Beobachtungen gemacht: Ein Kinderzimmer lässt sich nicht einfach zum Klassenraum umfunktionieren. Vier Wände und ein Bildschirm ersetzen den sozialen Lernort Schule nicht adäquat. Die Lockdowns der vergangenen Monate haben offengelegt, dass das sächsische Schulsystem nur bedingt auf Krisensituationen vorbereitet ist. Zum Beispiel in Sachen Digitalisierung. Wie kann das Krisenmanagement in Bildungseinrichtungen mit den Erfahrungen aus Corona-Zeiten anders funktionieren? Diese Frage leitet die zweite inhaltliche Sitzung des Bürgerrats »Forum Corona« am 16. Oktober 2021.

Diskussionspunkte auf einem IPad
Die Themen Schule und Digitalisierung, soziale und psychische Folgen der Lockdowns und Bildungsgerechtigkeit standen im Mittelpunkt der zweiten Sitzung.  © Die Rederei gUG

Soziale Isolation und psychischer Druck

Das Thema Schule und Digitalisierung haben die Bürgerräte als besonders drängend im Handlungsfeld Bildung und Kultur markiert, gefolgt von den sozialen und psychischen Folgen der Lockdowns und der Bildungsgerechtigkeit der sogenannten Generation Corona. In Arbeitsgruppen wurden Herausforderungen diskutiert, Idealbilder für die Zukunft erarbeitet und mögliche Ideen zu politischen Maßnahmen zusammengetragen.

Vor allem die soziale Isolation war im Gespräch ein immer wiederkehrendes Thema. Nicht jedes Kind könne zu Hause allein lernen oder sich zu Leistung motivieren. Das erklärte eine Mutter von vier Kindern im Schulalter. Diese Situation führe zu psychischem Druck. Besonders wenn Lernrückstände aufgeholt werden sollten. Ähnlich ging es einem Vater, der im Kinder- und Jugendsport aktiv ist. Ihn belastete, wie viele Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten »komplett vergessen« wurden. Zum Beispiel, wenn Eltern beim Lernen nicht unterstützen konnten oder aber schlicht die Technik fehlte, um mit anderen in Kontakt zu bleiben.

Input geladener Expertinnen und Experten

Prof. Dr. Birgit Leyendecker auf einem Ipad
Prof. Dr. Birgit Leyendecker von der Ruhr-Universität Bochum  © Die Rederei gUG

Erzwungene Erneuerung bewusst gestalten

Das ist auch ein Punkt, den Joanna Kesicka stark machte. Die Sprecherin des Landesschülerrats äußerte sich im Gremium als Expertin. Sie erzählte nicht nur von jenen Schulaufgaben, die altmodisch im Briefkasten landeten, sondern auch von »vergessenen Schülerinnen und Schülern«. Nur ein Beispiel: Im Gegensatz zu Gymnasialklassen sei zu wenig über Ober- und Förderschulen gesprochen worden. Viele Neunt- und Zehntklässlerinnen und -klässler hätten coronabedingt nie die Chance auf ein Praktikum gehabt. Das erschwere die berufliche Orientierung für etliche Schulabgängerinnen und -abgänger. Und trotz aller Kritik habe die Pandemie auch etwas bewegt, meint die Abiturientin. Nämlich Fortschritte in der digitalen Medienbildung und LehrerInnen-Kompetenz. Corona hätte eine Erneuerung erzwungen, die jetzt ganz bewusst fortgeschrieben werden müsse.

Neben Kesicka lieferten weitere Expertinnen unterstützend Input, um den Dialog zwischen Fach- und Alltagsperspektive zu fördern. Egal, ob wissenschaftliche Analyse, praktische Sozialarbeit oder eben die Eindrücke der Bürgerinnen und Bürger — alle Teilnehmenden des Rats kamen zu dem Schluss: Schule ist ein sozialer Lernort. Das unterstrich Prof. Dr. Anke Langner, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Sie sprach von einer Lebenseinrichtung, einem psychosozialen Anlaufpunkt. Deshalb könnten digitale Angebote den klassischen Präsenzunterricht auch nur ergänzen, nie ersetzen. Langner betonte, dass sich das Schulsystem nach Corona reformieren müsse. Zur Digitalisierung gehöre etwa ein IT-Team für jede Schule, um den technischen Wandel zu vollziehen und Lehrkräfte zu entlasten.

Heike Mann, Sozialpädagogin und Leiterin der Fachstelle der Arbeiterwohlfahrt Dresden zur Prävention sexualisierter Gewalt, berichtete zudem, wie der Beratungsbedarf in Corona-Zeiten in die Höhe geschnellt ist. Gerade während der Lockdowns hätten Kinder und Jugendliche keine Möglichkeit gehabt, Lehrerinnen und Lehrer bei Problemen anzusprechen und sich zu öffnen.

Mit ungleichen Bildungschancen und deren Folgen beschäftigt sich Prof. Dr. Birgit Leyendecker von der Ruhr-Universität Bochum. Sie leitet das interdisziplinäre Zentrum für Familienforschung und berichtete im Plenum unter anderem über die „3W“, die zu Bildungsnachteilen durch die Pandemie führten: geringer Wohlstand, geringer Wohnraum und geringes Wohlbefinden von Kindern und Erwachsenen in der Familie. Mindestens ein Drittel der Kinder brauche Unterstützung, um den Anschluss nicht zu verlieren.

Abschlussplenum

Handlungsempfehlungen, dargestellt auf einem Ipad
Zum Ende einer jeden Sitzung wurden die Ergebnisse aus den Kleingruppen und die erarbeiteten Handlungsempfehlungen in einem gemeinsamen Abschlussplenum präsentiert und diskutiert.  © Die Rederei gUG

Ideen zu neuen Lernformaten

Um auf diese Herausforderungen im Katastrophenfall künftig vorbereitet zu sein, entwickelten die Bürgerrätinnen und -räte Empfehlungen. Ein Vorschlag, der im Forum diskutiert wurde: Methoden der Stressbewältigung in der Schule praktisch zu vermitteln. Dazu gehöre, Kinder und Jugendliche zu ermutigen, über Druck zu sprechen und damit psychische Probleme weiter zu enttabuisieren. Ein Teilnehmer regte ein neues Format an und schlug dafür den Arbeitstitel »Das Lernen lernen« vor. Dieses solle die Selbstständigkeit fördern und so Schule im Homeoffice besser möglich machen.

Einige Bürgerrätinnen und -räte waren der Meinung, dass auch die Lehrpläne kritisch überprüft werden sollten. Wenn die Pandemie zeige, dass Schule ein gemeinschaftsstiftender Ort ist, dürfe nicht nur die reine Wissensvermittlung im Vordergrund stehen. Für all diese Ideen gab es letztlich eine Klammer: Investitionen. Unter anderem in Personal und Fachkräfte, so die Anregung der Teilnehmenden. Einig waren sich alle, dass nicht das Engagement einzelner Lehrkräfte darüber entscheiden darf, ob Schülerinnen und Schüler gut oder schlecht durch so eine Krise kommen. 

Vier Stunden Onlinegipfel bedeuteten an diesem Tag vor allem vier Stunden angeregter Dialog. Kurzweilig, konstruktiv, spannend – dieses Fazit zogen die Teilnehmenden in der Abschlussrunde unter das neue Format Bürgerrat. Der respektvolle Austausch mit anderen Sächsinnen und Sachsen motivierte für die nachfolgende Debatte. In dieser stand dann die Wirtschaft im Fokus.

 

Nächste Sitzung

 

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