11.12.2021

Sitzung 4 - Thema: Politik und Verwaltung

In der Krise fühlen sich viele Menschen nicht gehört. Politik erscheint oft wenig sensibel für Stimmungen in der Bevölkerung. Diese Kluft gefährdet den Zusammenhalt. Über mehr Einbeziehung im Katastrophenfall diskutierte der Bürgerrat in seiner vierten inhaltlichen Sitzung. Mit dabei, der Sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer und Demokratieministerin Katja Meier.

Persönlicher Austausch, Eindrücke und Erfahrungen

Teilnehmer des Forum Corona auf einem IPad
Zu Gast bei der vierten inhaltlichen Sitzung: Ministerpräsident Michael Kretschmer und Demokratieministerin Katja Meier.  © Die Rederei gUG

Vertrauen zurückgewinnen

In Arbeit - so lässt sich der Beziehungsstatus zwischen Gesellschaft und Politik nach zwei Jahren Corona-Pandemie charakterisieren. Auf der Großbaustelle gilt es Vertrauen zurückzugewinnen. Aber wie? Der Bürgerrat Forum Corona diskutierte diese Frage am 11. Dezember nicht allein. 

An der vierten inhaltlichen Sitzung des Bürgerrats »Forum Corona« nahmen auch Ministerpräsident Michael Kretschmer und Katja Meier, Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, teil. Das Ohr an den Menschen haben, die Arbeit des neuen Gremiums wertschätzen, nach Lösungsstrategien fragen – all das nannten die beiden Politiker als Gründe für den Werkstattbesuch inmitten der vierten Coronawelle.

Sie, die sonst Antworten geben, stellten nun Fragen an Alltagsexpertinnen und -experten. Wie kann die Impfkampagne noch vorangetrieben werden, wollte Kretschmer beispielsweise wissen. Wie sollte eine Aufarbeitung der Pandemie aussehen? Welche Formate braucht es dafür?

»Haben wir in Sachen Impfaufklärung wirklich schon alles getan«, erwiderte ein Teilnehmer und schlug vor, Infostände neben Impforten einzurichten, um direkt vor Ort Sorgen zu nehmen. Auch funktionierende Beratungshotlines seien unabdingbar. »Wer Hilfe sucht, aber dauerhaft in der Warteschleife hängt und nicht weiß, wohin er sich sonst wenden soll, gibt auf«, erklärte eine Teilnehmerin aus eigener Erfahrung. 

Ideen für mehr Bürgernähe 

Die Impfquote lag in Sachsen zum Jahresende 2021 bei rund 59 Prozent. So niedrig wie in keinem anderen Bundesland. Mit an der Spitze des Länderrankings stand der Freistaat hingegen bei den Inzidenzen. »Die Krankenhäuser sind so voll, dass Patienten in andere Regionen ausgeflogen werden müssen. Die Lage ist wirklich dramatisch«, erklärte Kretschmer zur Situation. 

Das politische Tagesgeschehen beeinflusste auch die Arbeit des Rats. So mischte sich in die Debatte Für- und Widerrede zur allgemeinen Impfpflicht. In kleinen Arbeitsgruppen wurde zudem diskutiert, wie Politik und Verwaltung künftig besser funktionieren könnten. Bürgernähe, Krisenkommunikation und Föderalismus waren Kernthemen, für die konkrete Maßnahmen erarbeitet wurden. Dabei half der Input geladener Expertinnen und Experten. 

Input geladener Expertinnen und Experten

Handlungsempfehlungen für das Themenfeld Politik und Verwaltung 

Dirk Neubauer, Bürgermeister in Augustusburg, berichtete von demokratischen Beteiligungsformaten in seiner Stadt. Sie hätten den Kontakt und Austausch gesichert – und damit auch den mehrheitlichen Rückhalt für politische Entscheidungen. Als Beispiel nannte er ein niederschwelliges Chatangebot. Gerade diese Nahbarkeit von Politik wurde als Schlüsselelement benannt. Denn: Wenn der Dialog abbreche, verhärteten sich Fronten, argumentierte ein Großteil des Rats. Deshalb brauche es einen Feedbackmechanismus zwischen Bürgerschaft und Politik. Mitmachaktionen wie Onlineabstimmungen oder Bevölkerungsumfragen müssten erwogen werden. 

Neue politische Fehlerkultur etablieren

Kritisiert wurde von vielen widersprüchliche Aussagen in der Krisenkommunikation. Ein Teilnehmer erinnerte an die Debatte um Impfstoffe erster und zweiter Klasse, ein anderer an die aktuelle Impfempfehlung für Kinder durch die Ständige Impfkommission. »Wenn der Vorsitzende dieser Institution gleichzeitig erklärt, sein eigenes Kind aber nicht impfen zu lassen, irritiert das.« Auch wirkten manche Entscheidungen schlicht willkürlich, gab ein weiteres Mitglied zu bedenken: »Sachsen und Thüringen kämpfen derzeit mit nahezu gleichen Inzidenzen. Aber in einem Land darf die Gastronomie nur bis 20 Uhr, im anderen bis 22 Uhr öffnen. In einem Land ist das Hotelgewerbe erlaubt, im anderen nicht.« Solche Beschlüsse seien nicht nachvollziehbar. 

Die Politikwissenschaftlerin Prof. Nathalie Behnke der Technischen Universität Darmstadt erklärte als Förderalismusexpertin, dass die unterschiedliche Gestaltung des Pandemiemanagements ein Wesenszug des deutschen Föderalismus ist und dazu führen sollte, dass es regional angepasst und somit passgenauer zugeschnitten werden kann. Dafür müssten Länder und Bund jedoch ihre jeweilige Verantwortung ernst nehmen und nicht versuchen, schwierige Entscheidungen an die jeweils andere Ebene abzugeben. 

Mehr Anerkennung der Fehlbarkeit politischen Handelns und Offenheit zur Korrektur markierte Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje in seinem Input als zentral, um Vertrauen zurückzugewinnen. Er erklärte die Pandemie zum lernenden Prozess, der stets von neuen Informationen und Kehrtwenden im Wissensstand geprägt war. Die größte politische Herausforderung sei es daher, transparent und ehrlich zu kommunizieren. 

Eine Analyse, die Staatsministerin Meier teilte. Als Initiatorin des Bürgerrats erklärte sie, Pandemieentscheidungen müssten unter hohem Zeitdruck getroffen werden. Dabei könne es zu Fehleinschätzungen kommen. Auch stünden Wissenschaft und Politik in einem besonderen Spannungsverhältnis: »Die Wissenschaft geht danach, sich weiterzuentwickeln und neue Schlüsse zu ziehen. Von Politik wird hingegen erwartet, dass sie die sofortige und absolute Wahrheit hat. Dieser Herausforderung stellen wir uns und setzen uns auch der Kritik aus.«

Abschlussplenum

»Der Austausch bestätigt die Relevanz des Gremiums«,unterstreicht Ministerpräsident Michael Kretschmer zum Abschluss der Sitzung. 

Für die Ideen, die der Bürgerrat in seiner vierstündigen Sitzung erarbeitet hatte, fanden sowohl Kretschmer als auch Meier anerkennende Worte. »Sie haben sich viele Fragen gestellt, die wir im Laufe der letzten 18 Monate auch hatten«, erklärte Kretschmer. Das belege, wie nah Bürgerschaft und Politik debattieren, ergänzte Meier: »Es zeigt mir, dass wir nicht über irgendetwas schweben, sondern dass wir an den Themen dran sind, die Sie zu Hause, in Ihren Familien oder Arbeitskreisen bewegen.« Und auch für den Bürgerrat selbst war diese Erkenntnis wichtig: Der Austausch bestätigte die Relevanz des Gremiums. Das unterstrich Kretschmer.

Auf seine eingangs gestellte Frage zur Aufarbeitung der Pandemie gabenTeilnehmende einstimmig dieselbe Antwort: Für eine Versöhnung zwischen Politik und Gesellschaft brauche es Dialoge in Form von Bürgerräten auf Mikroebene – in Dörfern, Gemeinden, Städten. Unterschiedliche Perspektiven an einen Tisch bringen, auf Augenhöhe respektvoll miteinander diskutieren, in der eigenen Position ernstgenommen werden, damit überzeuge das Forum Corona. 

Eine Bürgerrätin fasste die Erfahrung der Selbstwirksamkeit treffend zusammen: »Ich bin froh, ein Teil des Ganzen zu sein. Die monatlichen Dialoge regen meine Kreativität an. Ich reflektiere die gehörten Standpunkte und stelle fest, dass ich den anderen Teilnehmenden in vielen Punkten zustimme. Das ist toll.«

Das Interesse der Staatsregierung empfanden die Engagierten als große Wertschätzung – samt »spannenden Erkenntnissen, aufschlussreich und informativ«. Ein Lob richteten sie daher an die gute und professionelle Organisation des Forums durch die Initiative Offene Gesellschaft e.V. Es beflügele zu wissen, dass die Arbeit des Rats gehört werden will und verringere die Distanz zur Politikebene. Dieser direkte Austausch motiviere nun zusätzlich, ein komplexes und gut ausgearbeitetes Handlungspapier zu entwerfen.

 

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